Die folgende Predigt habe ich am Heiligen Abend in der Aschauer Friedenskirche gehalten. Sie ist ganz wesentlich inspiriert von einem Text von der großartigen Susanne Niemeyer: „Plan B“. Ihr findet diesen und weitere Texte auf ihrer Seite www.freudenwort.de. Ich danke ihr, dass ich meine Predigt hier veröffentlichen darf!

Driving home for Christmas
Oh I cant wait to see those faces…

Sie musste lächeln. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie mitgesungen hatte. War auch sonst nicht so ihre Art. Sie hörte sonst auch kein Autoradio. Das war definitiv unter ihrer Würde.

Aber heute waren andere Dinge wichtig gewesen. Den letzten Flug nicht verpassen, den Mietwagen nehmen und dann einfach nur los. Weihnachten war sonst kein Thema für sie gewesen. Nie gewesen. Und ja, so kitschig das auch klang. Dieses Jahr war alles anders.

Er war anders. Er und seine Kinder. Ihretwegen fuhr sie „nach Hause“. Es war verrückt, aber  es fühlte sich tatsächlich an wie zuhause. Sie blickte in den Spiegel. Sie hatte rote Flecken im Gesicht und sie hatte Augenringe. Aber es war ihr fast egal in diesem Moment. Sie drehte das Radio lauter. But soon there’ll be a freeway yeah. Get my feet on holy ground

Mit den Trommeln fängt es an. Dann gleich die Flöten. Und spätestens wenn die Streicher einsetzen, ist es um sie geschehen. Dann ist es Weihnachten 1973 und die Thomaner singen. Die Tränen steigen schneller auf, als sie sie wegwischen kann. Sie schließt die Augen. Jauchzet, frohlocket. Auf preiset die Tage. Jauchzet! Frohlocket. Dass einen Worte der Freude und des Jubels so traurig machen können. Und so, so sehnsüchtig. 

Sie steht langsam auf und bewegt die Nadel des Plattenspielers vorsichtig auf die Seite. Aber erst als der letzte Ton verklungen ist. Niemals zu früh. Sie lächelt, als sie daran denkt, mit welch konzentriertem Gesichtsausdruck Georg das immer getan hat. Sie legt die Hände ans Gesicht. Sie atmet tief durch. Schaut noch einmal in den Spiegel: Man sieht ihr die Tränen noch an, aber das macht nichts. Sie schlüpft vorsichtig in den dunklen Mantel. Ihr Mann wartet. Ihre Töchter. Und die Enkel. Sie sind alle schon in der Kirche. Wie immer kommt sie erst zum Essen. Denn vorher hört sie das Weihnachtsoratorium. Alleine. Mit Georg.

Last Christmas I gave you my heart. But the very next day you gave it away.

Ja, er lachte sarkastisch auf, Weihnachten war es gewesen. Kurz vor Weihnachten, ein ganz tolles Geschenk. Nur war es keine Frau gewesen, sondern nur eine neue Stelle. Nur. Aber trotzdem, er hatte ihr sein Herz gegeben. Sein Herz und seinen Schlaf und seine Energie. Er hatte so viel investiert. Für nichts und wieder nichts. Nachdem er 6 Monate lang alles gegeben hatte, hatten sie ihn nach der Probezeit nicht behalten. But the very next day you gave it away. Es war ein verdammt beschissenes Jahr gewesen. Alle seine Versuche, das Beste daraus zu machen, waren gescheitert. Und nein, irgendwie sah es auch ein Jahr später noch nicht nach Happy End aus. Es war Weihnachten, er räumte Regale ein. Aber hey, immerhin gab es eine Packung abgelaufene Zimtsterne, die übrig war. Und Zimtsterne gehörten schon immer zu Weihnachten dazu für ihn. Sein Kollege ein Regal weiter winkte ihm zu. Mit einer Schachtel Zigaretten. Pause machen. Zimtsterne essen. Komisch. Weihnachten wurde es immer trotzdem. Auch wenn nichts sonst nach Weihnachten aussah. Zimtsterne gab es immer.   

Liebe Gemeinde,

Weihnachten kommt alles anders. Und zweitens, als man denkt. Dreimal war es Weihnachten. Einmal ganz anders als je zuvor. Einmal ganz so wie immer – nur nicht ganz in der Gegenwart. Und einmal trotzdem. Und eigentlich nur wegen der Zimststerne.

Und für alle drei ist es Weihnachten. Mit oder ohne Baum. Mit oder ohne Kirche. Sie alle hier haben sich für Kirche entschieden. Ich mich auch. Und ja, für mich gehört der Gottesdienst zu Weihnachten dazu. Und ich hab mich auch schon dabei ertappt, wie ich gedacht habe: Diese ganzen Leute, die Weihnachten feiern, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht. Was machen die da eigentlich? 

Aber ehrlich gesagt, immer wenn ich versuche, zusammenzufassen, worum es eigentlich an Weihnachten geht, scheitere ich. Um die Liebe? Wie in der Penny-Werbung? Ja, auch. Ums Essen, wie in der Aldi-Werbung? Ja, auch. Um die Familie? Wie alle immer sagen? Ja, auch. Um das Kind in der Krippe, um Gott, der Mensch wird, wie wir in der Kirche sagen? Ja, auch.

Aber wer weiß das schon so genau? Die Weihnachtsgeschichte selbst ist alles andere als eindeutig. Irgendwie weiß keiner so genau, wer der Vater ist. Irgendwie weiß keiner so genau, warum die Hirten eigentlich auch noch alle antanzen müssen. Irgendwie weiß keiner so genau, warum man auf einmal für Gott eine neue Geschichte brauchte. Die Vorstellung von Gott gab es schon vorher. Er war der allmächtige Gott, zu dem man betete, der die Israeliten die Hoffnung gab, aus der Knechtschaft befreit zu werden. Er war der Gott, über den man unser ganzes Altes Testament geschrieben hatte. Wozu eine neue Geschichte? Wozu der Stern, der Engel und sein „Fürchte Dich nicht!“ Wozu das Ganze?

Liebe Gemeinde, Weihnachten ist anders. Weihnachten ist nicht eindeutig. Weder wissen wir, wer der Vater war, noch wissen wir, ob das alles wirklich in Bethlehem war. Oder ob das einfach nur gut in die Story gepasst hat. Was wir aber wissen ist: Es war alles anders. Es war nichts eindeutig und klar und einfach. Es war mehrdeutig. Verwirrend und Verworren. Maria und Josef waren nicht geplant. Nicht die Krippe. Nicht der Esel. Und Gott? Für den wir ein neues Bild bekommen? Ein Baby im Stroh. Gibt es etwas, was wir weniger kennen, als ein neugeborenes Baby? Wenn ein Kind zur Welt kommt, wissen wir nichts von ihm. Seine Haarfarbe wird sich noch ändern. Seine Augenfarbe auch. Wir wissen noch nicht, ob unser Kind später lieber Essiggurken oder Schokocroissants essen wird. Das einzige, was wir wissen ist: Du bist anders. Du bist anders, als alles was wir kennen.

Liebe Gemeinde, Gott legt sich nicht fest. Deshalb wird er Mensch. Weil es nichts gibt, das so unvorhersehbar und so einzigartig ist, wie ein Mensch. Weil Menschen meistens das Beste im Sinn haben und sich dann zwischendurch nicht mehr so ganz sicher sind, wie das so genau geht. Weil Menschen meistens versuchen, alles richtig zu machen und irgendwann feststellen, dass es nicht nur ein richtig gibt und mindestens zwei falsch.

Weil wir Plan A verfolgen und dann irgendwann vor Plan B stehen. Plan B ist Katharina statt Annika und Fürstenried statt Frankfurt am Main. Ist nicht schlechter, nur anders.

Liebe Gemeinde, ich glaube, letztlich ist Plan B eine ziemlich gute Sache. Weil er uns befreit von der Vorstellung, dass es ein richtig oder falsch im Leben gibt. Das gibt es nicht. Es gibt nur ein anders. Plan B befreit uns von der lähmenden Überzeugung, dass es verpasste Chancen gibt, die uns das Glück für immer verwehren und Entscheidungen, die uns das Glück für immer garantieren. Gott legt sich nicht fest. Deshalb wird er Mensch. Er legt uns nicht fest. Nicht auf Jura oder Biochemie, nicht auf Peter oder Jakob, nicht auf hilflos oder mächtig. Er lässt uns frei. Er stellt uns Plan B zur Verfügung. Immer wieder. Manche sagen, so geht Gnade. Manche sagen, diese Gnade ist es, worum es an Weihnachten geht.

Weil Gott uns nicht festlegt auf das Eindeutige, Richtige, Wahre. Weil es nicht nur ein richtiges Leben gibt, sondern immer wieder Neuanfänge. 

Weihnachten ist Driving Home für Christmas, Weihnachtsoratorium und Last Christmas in einem. Oder hintereinander. Weihnachten ist Sehnsucht nach dem ganz anderen und trotzdem im Hier und Jetzt zuhause sein. Weihnachten braucht kein Happy End. Denn Weihnachten ist viel mehr Neuanfang als Schlusspunkt. Weihnachten ist trotzdem. 

An Weihnachten ist Plan B dran. Für jeden anders. Und für Gott ganz besonders. Er ist Mensch geworden, damit wir erleben und spüren können, dass seine Gnade niemals aufhört. Sondern genau jetzt anfängt. Frohe Weihnachten!

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