Oder: Hiob. Oder: Gott heiligt die Fragen.

Predigt am 1. September 2019, Christuskirche Prien am Chiemsee.

Ich dachte, endlich sagt mir jemand wie es geht
Wann lern‘ ich endlich aus meinen Fehlern?
Ja, guten Tag, wie heißt denn hier das WLAN?
Wann ist hier eigentlich wieder was los und
Warum gibt’s so viel Wettbüros?
Warum war früher alles viel schöner?
Warum macht ihr Mayonnaise in den Döner?
Und warum ist die AfD immer noch da
Obwohl ich heut‘ beim Yoga war?
Alexa, gib mir mein Geld zurück!
So hatte ich das doch alles nicht geplant
Alexa, gib mir mein Geld zurück!
Wieso hat mich kein Mensch davor gewarnt
Alexa, gib mir mein Geld zurück!
Ich dachte, du bist die, die mich versteht
Alexa, gib mir mein Geld zurück!
Ich dachte, endlich sagt mir jemand wie es geht

Liebe Gemeinde,

Alexa, der Sprachcomputer von Amazon ist es auf jeden Fall schonmal nicht. Wenn man Alexa etwas fragt, z.B. „Alexa, wann ist der nächste Gottesdienst in Prien am Chiemsee?“ – dann weiß sie mit ziemlicher Sicherheit die richtige Antwort. In Sekundenschnelle scannt sie das Internet und sagt: 8. September, 9.30Uhr. Wunderbar. Fragt man sie allerdings in Dresden: „Alexa, welche Partei soll ich heute bei der Landtagswahl wählen?“ Ja, dann…wird sie wahrscheinlich etwas sagen wie „Tut mir leid, diese Frage kann ich nicht beantworten. Willst Du den wikipedia-Artikel zu Landtagswahl hören?“

Und ja, dann bin ich leider doch wieder auf mich gestellt. Ich erinnere mich daran, als ich hochschwanger war und so sehnsüchtig und ungeduldig war, wann das Baby endlich kommt – dass ich manchmal meine e-mails geöffnet habe und irrsinigerweise gehofft habe, da würde es jetzt stehen, schwarz auf weiß: Ihr Baby kommt am 20. November um 8.28 Uhr. 

Auf manche Fragen weiß selbst das Internet keine Antwort. Und, liebe Gemeinde, während meine Generation tatsächlich alle Fragen erstmal im Internet nachschlägt, haben andere wiederum andere Orte, wo sie die Wahrheit suchen: Horoskope, z.B., glaubt natürlich keiner wirklich dran – wissen trotzdem alle das eigene Sternzeichen. Oder: die Bild-Zeitung. Liest natürlich NIEMAND, hat trotzdem eine so hohe Auflage wie kein anderes Printmedium. Wen kann man noch fragen, wenn man die Wahrheit wissen will? Freunde vielleicht? Da kommen wir jetzt Ihrer Lebensrealität vielleicht schon näher, liebe Gemeinde. Wobei: Wann haben Sie das letzte Mal mit ihren Freunden über die Wahrheit gesprochen? Reden Sie mit Ihren Freunden darüber, wo die Wahrheit aufhört und wo sie anfängt? Reden Sie mit Ihren Freunden darüber, warum das Leben eigentlich so kompliziert ist?

Ja, liebe Gemeinde, wen könnte man noch fragen?

Wenn Sie jetzt meinen, ich wollte auf Gott raus, haben Sie recht und unrecht zugleich. Ja, irgendwann in dieser Predigt wollte ich tatsächlich auf ihn zu sprechen kommen. Aber: Nicht als „richtige Lösung“. Nein, ich glaube tatsächlich nicht, dass Gott auf all unsere Fragen die richtige Antwort geben kann. Zumindest nicht in der Form, dass wir eine Frage in den Raum stellen und und dann wie von Zauberhand oder Zauberstimme die Antwort zugeflüstert bekommen. Ich glaube, da kann man sich selbst ganz schön täuschen. Ich zumindest habe mich da schon getäuscht. Auch die Bibel aufschlagen und nach der Antwort suchen kann nach hinten losgehen. Zum Beispiel beim Thema Landtagswahl. Die Bibel hat keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen.

Liebe Gemeinde, es ist kompliziert. Mit der Landtagswahl und mit dem Leben. Weil wir Antworten brauchen. Unser Leben ist voller Fragen. Wichtiger Fragen. Wie lange muss ich es aushalten? Warum gerade ich? Und wann komme ich an? Und manchmal werden die Fragen wütender. Vorwurfsvoller. Und dann – dann stehen wir da und wissen nicht mehr, wen wir da jetzt eigentlich fragen sollen. Und dann kommt die Unruhe. Wir suchen. Nach Antworten, nach Lösungen. Aber auch nach Schuldigen. Hätte ich doch früher mal…warum war ich nur so…und manchmal da kehrt es sich auch woanders hin. Ich muss da jetzt keine Beispiele machen, das kennen Sie aus Ihrem Leben gut genug. Entweder wir suchen die Verantwortung bei uns oder bei anderen. Manchmal auch bei Gott. Und damit sind wir mitten drin in diesem schrecklichen Dreisatz, in den uns dieser Sonntag heute stellt:

Heute vor 80 Jahren begann der 2.Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen. Weil tausende, nein Millionen Deutsche sich auf einmal ganz sicher waren, wer Schuld ist an ihrer Lage.

Heute, von 8-18 Uhr kann man in Sachsen und Brandenburg seine Stimme bei der Landtagswahl abgeben. Und heute werden tausende Menschen ihre Stimme einer Partei geben, die genau zu wissen scheint, was richtig ist und was falsch. Wer schuld ist und was man jetzt tun muss. 

Und heute haben wir hier einen Predigttext, der klagt und schreit. Es klagt und schreit ein Mann, der sein Leben lang an Gott geglaubt hat. Er war ein guter Mensch. Hat gebetet ohne stolz darauf zu sein. Hat geglaubt ohne hochmütig zu sein. Und er verliert alles. Seine Frau. Seine Kinder. Seine Gesundheit. Er verliert alles. Trotzdem Es bleiben drei Freunde, die sich mit ihm eine Woche auf den Boden setzen. Der Mann hieß Hiob und das sind seine Worte:

1 Hiob antwortete und sprach:
2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss.
3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte!
4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen
5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde.
6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich.
7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter!
8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht.
9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht.
10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold.
11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab
12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir.
13 Doch er hat’s beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will.
14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn.
15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm.
16 Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat;
17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.

Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. 

Liebe Gemeinde, Hiob wird geprüft. Gott und der Teufel prüfen ihn. Wollen schauen, ob er immer noch so gläubig ist, der Hiob, wenn man ihm alles nimmt.

Und jetzt steht er da, der Hiob. Sein ganzes Leben ist ein Scherbenhaufen. Der an den er geglaubt hat, Gott, der ist ihm unheimlich geworden. Er misstraut ihm. Er sagt: Du Gott, bist jetzt die Finsternis. Vor Dir Gott, fürchte ich mich jetzt. 

Gott war für Hiob die Wahrheit. Gott war für ihn der, der sein Leben festgehalten hat. Und jetzt?

Jetzt, lauert der Teufel im Hintergrund. Jetzt wird er doch wohl endlich abfallen von seinem Glauben. Wird alles hinschmeißen – die Treue, die Liebe, den Glauben, die Hoffnung. Aber – nein. Hiob bleibt. Und redet. Und redet. Und immer wieder sagt er: Bitte Gott, es würde mir so helfen, wenn Du wenigstens antworten würdest. Rede mit mir. Sag mir wenigstens, was Du Dir dabei gedacht hast. 

Liebe Gemeinde, ich wünschte manchmal ich hätte eine Alexa für mein Leben. Eine moderne Kristallkugel, die die Antworten kennt, die aus der unendlichen Lebensweisheit aller Menschen heraus die richtigen Antworten für mich finden kann. Für mich und meine irrwitzig kleinen Sorgen. Für die Menschen in den Folterkammern heute in Syrien. Ich wünschte, ich könnte glauben an einen Gott der einfachen Antworten. Stattdessen muss ich an einen Gott glauben, der meine Fragen heiligt. Meine Zweifel sind ihm heilig. Meine Angst hält er fest, wie er mich fest hält. Meine Tränen wischt er nicht mit leichtfertigen Versprechungen weg. In den Nächten, wo ich Hiob bin, wo ich Antworten will und mein Recht. Mein Glück. 

Liebe Gemeinde, wir werden aus dem Fragen nicht herauskommen. Und es gibt Menschen, Orte und Wege, Antworten zu finden. Freundinnen und Freunde zum Alltag teilen. Eltern mit Lebenserfahrung. Youtube-Videos, mit denen man sich anschauen kann, wie man einen kaputten Wasserhahn repariert. Es gibt kluge Journalistinnen und Fernsehmagazine, die Fragen stellen und nach Antworten suchen. Und es gibt Kerzen, stille Kirchen und Psalmen, die unsere Fragen auffangen können, ohne uns mit Antworten zu bedrängen. Es gibt Gott, der unsere Fragen heiligt. Und: es gibt keine Menschen, keine Parteien und keine Weltanschauung, die einfache Antworten auf unsere Fragen hat. 

Seien wir wachsam, sehen wir die Grenzen zwischen den Fragen und ihren Antworten.

Denn die Weisheit Gottes und sein Friede ist höher als all unsere Erkenntnis. Amen.

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