„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen“
50 mal hintereinander beten das Menschen im Rosenkranz Ein Mantra, das ins Herz hineinsinkt. Sie haben Perlen in der Hand, eine Gebetskette. Sie gleitet durch die Hände, kleine und große Perlen. Sie sagen mir, was ich bete und doch betet es durch mich. Maria voll der Gnade, immer wieder.
Eine Frau, die besonders voller Gnade sein soll, weil sie nicht mit ihrem Verlobten geschlafen hat, sondern Jesus „unbefleckt“ zur Welt gebracht hat. Fromme Katholik*innen sagen: Gott hat das Ja eines Menschen abgewartet, bevor er selbst Mensch geworden ist: Das Ja Marias.
Ich kann mir das alles schwer vorstellen, v.a. wenn ich es damit verbinde, was daraus geworden ist: Rein in die Ehe zu gehen, unbefleckt. Warum ist das eine Gnade? Warum hat sie Gnade erfahren? Weil sie den Sohn Gottes zur Welt bringen durfte? Ich weiß nicht, ob sie sich dieser Aufnahme gern angenommen hat. Dieser Verantwortung.
Ihre Gnade war vielleicht eine Last.
Und das wiederum kann ich sehr gut verstehen. Das Gefühl, dass die Gnade eine Last ist. Es ist nämlich nicht leicht Gnade anzunehmen. Das Gefühl, etwas nicht verdient zu haben. Etwas „trotzdem“ zu bekommen. Das Glück, im See schwimmen zu können, leicht und frei – und gleichzeitig ist ganz viel nicht gut. Der weite Himmel über mir – Deine Güte reicht, so weit der Himmel ist. Und Deine Wahrheit so weit die Wolken gehen.
Das ist für mich immer ein wichtiger Vers in diesen Momenten. Ich kann nicht erblicken, wie weit der Himmel und die Wahrheit reichen. Ich sehe diesen einen Teil meines Lebens, diesen Teil meines Himmels und meiner Hölle. Ich sehe meine Wahrheit, jetzt in diesem Moment. Ich sehe nicht die Wahrheit der anderen. Ihre Kämpfe, ihre Zweifel an der Gnade. Ihre Zweifel an ihrer eigenen Wahrheit.
Das vergisst man oft, gerade dann, wenn man andere Menschen von außen sieht: Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen – wie die Olympia-Reiterin, der so viel Hass entgegenschlug, weil gezeigt wurde, wie sie ihr Pferd geschlagen hat. Die Beispiele für gnadenlose Berichterstattung und öffentliche Meinungsbildung sind zahllos.
Es liegt wohl daran, dass us Gnade schwer fällt, sehr schwer. Für uns und für andere. Vielleicht ist das eine der Eigenschaften, die wir deshalb am liebsten Gott allein zuschreiben würde: Gnade gehört zu ihm, so wie es im Epheserbrief steht:
„4Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.“
Gottes Gabe ist es. Er hat es getan. Er ist gnädig. Seine Barmherzigkeit. Seine Güte, die schenkt, verzeiht, gibt von sich heraus.
Aber, liebe Gemeinde, alles, was wir Gott an Eigenschaften zuschreiben bleibt außerhalb unseres Lebens, wenn wir es nicht selber ergreifen, anfassen, in unser eigenes Leben und Denke mit hinein nehmen.
Es wird sonst wie dahingesagt, wie ein Rosenkranz ohne Herz und Seele. Wie lebt man Gottes Gnade?
Wie kommt sie in mein Herz?
Es ist ein Weg, Symbole und Worte für sie zu finden, die Gnade anzubinden an Rituale. Das Kreuzzeichen, das Kreuz, mit dem der Zöllner sich an die Brust schlägt: Sei mir Sünder gnädig.
Die Kräuterbuschen, die gebunden werden: Mit all den Kräutern, die dem Leben gut tun. Rosmarin für innere Ruhe, Thymian damit etwas heilen kann. Ringelblume Blatt für Blatt für Liebe und Glück. Königskerze für die Blitzschläge des Lebens. Vielleicht erinnert uns das an das, was uns am meisten fehlt.
Und doch, wie lebe ich die Gnade. Wie lasse ich sie so tief in mich einsinken wie den Rosenkranz und wie den Duft von Rosmarinkartoffeln?
Gnade braucht viel Platz, so wie ein Kräutergarten Luft und Zuwendung braucht. So wie ein Rosenkranz Zeit braucht. Für viele Wiederholungen. Gnade braucht viel Zeit und Platz im Herzen. Das Wort Gnade kommt von einem alten Wort das heißt „sich in Ruhelage begeben, sich niederlassen um auszuruhen.“ Für Gnade brauchen wir Ruhe im Herzen oder andersrum: Sie entsteht durch Ruhe im Herzen. Herz, schlag langsamer. Ruh Dich aus in mir. Alle widersprüchlichen Gefühle, alles was heilen muss. Alle sieben Kräuter brauche ich. 50 mal den Rosenkranz. Minutenlang auf dem Rücken im See liegen. Oder in der Badewanne. Herz, nimm den Mund voll mit der Gnade.
„Gegrüßet seist du, Katharina, Karl, Franz, Elisabeth, Stephan, Miriam, Laura, Evelyn, voll der Gnade, Du bist gebenedeit unter den Menschen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Dein Leben. Heilige Maria, Mutter Gottes, mit Dir zusammen bitten wir für uns Sünder*innen und gerechte Menschen jetzt und in der Stunde unseres Todes: Gott, lass uns voll der Gnade sein. Amen“
Danke für den schönen Text zu Maria. Danke auch für den wertschätzenden Blick auf Katholische Frömmigkeitsformen. Rosenkranz und Rosmarinkartoffelduft, tolle Kombination. Maria ist leider auch Projektionsfläche für letztlich frauenfeindliche Idealisierungen, stimmt. Das müssen wir (vor allem wohl Katholiken, absichtlich nicht gegendert) aufarbeiten und ändern.
Die Gnade sollte man davon aber nicht abhängig machen. Die tiefen Bilder von Jungfräulichkeit und Gottesgebärerin haben ihren Sinn weit jenseits davon. Ich soll mit Gottes Wort schwanger gehen, in mir darf Gottes Wort zur Welt kommen! Von daher stimme ich auch der Predigtpointe zu.
Maria war ein jüdisches Mädchen, die Perspektive gehört unbedingt auch mit rein in ein komplettes Bild von SEINER Gnade.
Ich freu mich, dass die Predigt Sie anspricht!Das schwanger gehen finde ich auch eine wirklich gute Metapher – oder eben auch Wahrheit…