Die folgende Predigt habe ich ziemlich genau vor einem Jahr in Aschau und Bernau am Chiemsee gehalten. Und ich hatte dabei ein Erdbeere auf dem Kopf. Zumindest bis zur Lesung des Bibeltextes. Fotos wurden leider vernichtet 😉 Und schon wieder gibt es ein Lied dazu. „Change“ von Tracy Chapman. Viel Freude beim Hören und Lesen!
Liebe Gemeinde,
ich muss heute ein Geständnis ablegen. Ich hoffe, es wird Sie nicht allzu sehr schockieren: Ich liebe Fasching. Oder Karneval. Oder Fasnacht. Oder wie immer Sie es nennen wollen. Ich liebe es, mich zu verkleiden. Jemand anders zu sein. Dieses Jahr bin ich zum Beispiel eine Erdbeere. Ich habe ein hübsches Kostüm an und auf dem Kopf ein grünes Hütchen. Auf die Wangen male ich mir rote Erdbeerbäcken und schwarze Punkte auf die Nase. Und dann passiert es mir schonmal, dass ich in meiner Verkleidung noch schnell zum Geldautomaten laufe. Dann wundere ich mich zunehmend, warum mich denn heute alle so ansehen – bis es mir wieder einfällt – Du bist eine Erdbeere.
Jedes Jahr aufs Neue vergesse ich, dass ich mich so gerne verkleide. Das Jahr ist so lang, der Fasching zumal hier in Oberbayern verhältnismäßig kurz. Und wenn ich dann wie jedes Jahr kurz vor knapp mir ein Kostüm organisiert habe, mir das schnell überziehe und dann vor dem Spiegel stehe und mir rote Wangen male – dann fällt es mir wieder ein: Heute darf ich jemand anders sein.
Es gibt ja immer um diese Zeit in Zeitschriften und im Fernsehen diese Formate, wo gefragt wird: Was sagt ihre Verkleidung über Sie aus? Sind Sie ein lässiger Cowboy oder eine aufreizende Krankenschwester? Und dann kommt immer die Interpretation hinterher: Wir stellen im Fasching das dar, was wir im Alltag, im normalen Leben nicht sein können. Eine Flucht aus dem Alltag, in eine andere Rolle schlüpfen. Und ich glaube wirklich, da ist schon etwas dran. Ich weiß zwar nicht, welche verdrängten Anteile in mir gerne eine Erdbeere wären…aber vielleicht genieße ich es tatsächlich, einfach nur bunt und witzig auszusehen und nicht verantwortungsbewusst, gut organisiert und zuverlässig sein zu müssen. Sondern eben nur eine Erdbeere sein darf. Es ist eine kleine Verwandlung, die ich da durchmache. Und vielleicht entsteht meine Aufregung und meine Freude über den Fasching deshalb besonders dann, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mir dabei zusehe, wie ich jemand anders werde.
Auch in unserem Predigttext geht es heute um eine Verwandlung. Allerdings um eine Verwandlung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die nur in eine Richtung vorstellbar ist. Wir hören das Markus-Evangelium: Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in die Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin, denn die Ernte ist da.
Der Same, von dem Jesus da spricht, er wird verwandelt, er wächst. Aus dem Samen erwächst etwas Neues. Zunächst ist nur der Halm sichtbar, langsam und zögerlich kämpft er sich durch die Erde nach oben – zumindest sieht es für uns so aus, wenn so wie jetzt im Frühling zaghafte neue Triebe aus der Erde treiben, wie die Krokusse, die jetzt manchmal schon durch die Schneedecke blinzeln. Aus dem Halm wird schließlich eine Ähre und dann, so heißt es in der Bibel – schickt die Erde den vollen Weizen in die Ähre. Und dann ist die Frucht reif zur Ernte – zum Mehl mahlen, Brot backen.
Zu dieser Verwandlung trägt der Mensch nicht viel bei, nur, dass er den Samen auf die Erde wirft. Der Rest geschieht automatisch, von selbst, weil es der natürliche Wachstumsprozess ist, der da in Gang gebracht wird. Ich habe weder eine Ahnung von Biologie noch vom Gärtnern – aber ich glaube, dieser Faszination des Wachsens, des von-selber-werdens, der kann man sich kaum entziehen.
Und eine solche Verwandlung, so will uns der Text begreiflich machen, vollzieht sich auch mit dem Reich Gottes? Das Reich Gottes, ein winzig kleiner Same, der reifen kann und irgendwann zu seiner Bestimmung kommt, nämlich nährendes Getreide zu sein?
An was denken Sie beim Reich Gottes? Im Vater Unser beten wir „Dein Reich komme, Deine Wille geschehe“ – das sprechen wir eigentlich im selben Atemzug, so als ob es dasselbe hieße: Wenn Gottes Reich da ist, dann wird alles so sein, wie Gott es will: Gut, gerecht, voller Frieden. Gottes Reich, das ist die Vollendung von Gottes Willen, das ist das, wonach wir uns sehnen. In Gottes Reich, da steht alles unter seiner Macht. Jesus erzählt seinen Jüngern ganz unterschiedliche Geschichten und Gleichnisse über das Reich Gottes. Und wenn man sie miteinander vergleicht, dann wird deutlich: Es geht immer um eine Veränderung. Um ein anders-werden. Manchmal liegt der Schwerpunkt der Reich-Gottes-Erzählungen dabei auf der Zukunft. Dann ist oft die Rede vom Gericht, vom Ende des Lebens, bei dem sich entscheidet, wer Einlass in das Reich Gottes findet. Hört man diese Erzählungen, wird deutlich: Bei Gott, da zählen andere Maßstäbe als im Hier und Jetzt. Im Reich Gottes, da ist es anders als hier. Da herrscht das Gute und Gerechte. In manchen Erzählungen vom Reich Gottes aber erweckt Jesus dagegen den Eindruck, als sei das Reich Gottes bereits da. Schon jetzt angebrochen im Hier und Jetzt. Als wäre es überall da, wo Menschen teilen, glauben, einander Gutes tun. Wenn er Blinde sehend macht, Lahme wieder gehen können – ist es da nicht zum Greifen nah, das Reich Gottes? Wo die Verhältnisse umgekehrt werden? Wo der Tod seine Macht verliert? Dein Reich komme – alles wird anders. Hier und Jetzt. Wo wir einander vertrauen, auf Gott vertrauen, in Liebe leben. Und dann, am Ende unseres Lebens tauchen wir ein in das Reich Gottes. Sind wir ganz bei ihm, erlangen wir das Ewige Leben.
Unser Bibeltext richtet den Blick aber nicht auf das, was das Reich Gottes ist. Wie das ewige Leben aussieht. Auch nicht, wann es beginnt, ob jetzt oder später. Das Gleichnis spricht vom Werden des Reichs Gottes, von seinem Wachsen, von einem Anders-werden. Ein Same der auf fruchtbare Erde fällt, der uns verändert. Was braucht es, damit bei uns ein Same auf fruchtbare Erde fällt, was braucht es, damit wir uns verändern? Und ich meine jetzt nicht das moralinsaure „Ändere Dich! Werde besser! Werde vernünftiger! Werde endlich erwachsen!“ Ich meine: Wann können wir uns verändern? Was brauchen wir, damit wir anders werden dürfen, ja, eine andere werden dürfen?
Wenn wir die Liebe eines Menschen spüren, wenn jemand unser Herz berührt, dann spüren wir eine solche Freiheit zur Veränderung. Weil es wie von selbst geht. Wenn der Same der Liebe in uns fällt, verändert er uns. Wie von selbst, so scheint es uns, geht diese Veränderung vor sich. Ohne unser Zutun. Und der Same bringt Frucht. Wir werden vielleicht mutiger. Klarer in unseren Entscheidungen. Wir merken, was uns wichtig ist. Manchmal verändert eine solche Liebe unser Bild von uns selbst. Und manchmal verändert sie unser ganzes Leben. Das Reich Gottes, so heißt es bei Lukas, ist inwendig in Euch. Wenn ein Same Gottes in uns aufgeht, dann hat er viele Namen. Er heißt vielleicht Mut. Mut, etwas zu wagen, nicht mehr zu zögern. Die Frucht dieses Samens heißt dann vielleicht Freiheit. In den Geschichten des Alten Testaments, in der Erzählung von der Flucht der Israeliten oder dem Aufbruch Abrahams ins Gelobte Land, da hat der Mut die Früchte der Freiheit getragen. Der Same Gottes kann aber auch Sehnsucht heißen. Sehnsucht nach Anerkennung, nach gesehen-werden. Wenn der Zöllner Zacharias auf den Baum klettert, um Jesus sehen zu können, dann sehnt er sich auch danach, gesehen zu werden. Was er erlebt, ist es angenommen zu werden, ist Gemeinschaft. Vom Samen, bis zur Frucht, da vergeht einige Zeit. Das lesen wir auch in unserem Gleichnis. Der Bauer schläft und steht auf, Nächte und Tage vergehen. Langsam schieben sich die Triebe durch die Erde. Es braucht Kraft dafür. Geduld. Aber es braucht eben auch einen Anstoß, jemand der den Samen wirft.
Die Sängerin Tracy Chapman singt in ihrem Lied „Change“ davon, was passieren muss, damit wir bereit werden für eine Veränderung. Sie singt: Wen Du wüsstest, Du müsstest noch heute sterben, wenn Du das Angesicht Gottes und das Angesicht der Liebe sehen könntest, würdest Du Dich verändern lassen? Was lässt Dich deine Richtung ändern? Was lässt Dich vergeben und vergessen? Wenn alles was Du glaubst zu wissen, Dein Leben unerträglich machen würde – würdest Du Dich verändern lassen? Wenn Du wüsstest, Du hast deine Wahrheit gefunden – würdest Du Dich verändern lassen? Du bindest Dich so sehr an Deine eigenen Entscheidungen – kannst Du sie noch verändern? Wenn nicht für das Gute, wofür lohnt es sich dann, zu springen?“
Wenn Du in das Angesicht Gottes schauen kannst, wenn Du die Liebe sehen kannst, dann ist das Reich Gottes inwendig in Dir. Was brauchst Du, um Dich verändern zu lassen?
Liebe Gemeinde, wir müssen uns nicht als Erdbeere verkleiden, oder als Cowboy oder als Krankenschwester, um uns verändern zu können. Unsere Veänderung ist eine andere. Denn wir können gewiss sein: Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in die Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin, denn die Ernte ist da. Dann ist Gottes Reich inwendig in Euch. Amen.