Predigt zum Heiligen Abend 2019 in Breitbrunn und Prien am Chiemsee
Was würdest Du machen, wenn Du keine Angst hättest?
Einfach aufstehen, ohne Plan und ohne Kontrolle.
Einfach liegenblieben.
Endlich die Wahrheit sagen.
Endlich gehen.
Endlich bleiben können.
Ein Buch schreiben.
Mich auf öffentlichen Toiletten hinsetzen.
Horrorfilme richtig anschauen, anstatt immer nur die Handlung zu googeln
Fallschirm springen
Meinen Vater in den Arm nehmen
Alles anders.
Was würdest Du machen, wenn Du keine Angst hättest?
Diese Frage stellte jemand vor ein paar Tagen auf twitter. Eine harmlose und einfache Frage. Und eine mit Antworten, bei denen ich Gänsehaut bekam. Soviel Angst? So viel ungelebtes Springen, Reden, Umarmen, Rennen, Lieben, Küssen.
So viel Angst zwischen mir und dem Leben?
Oder ist es anders? Ist es eine berechtigte Angst, die mich davor bewahrt, zu springen? Ist es die Vernunft, dass man vom Bücherschreiben meistens doch nicht leben kann? Ist es die Erfahrung, die uns klüger macht? Und ist Angst eine gute Ratgeberin? Ja, manchmal schon. Weil die Angst mir zeigt, wo meine Grenzen liegen. Wo meine Wohlfühlzone aufhört. Und sie zeigt mir, wo der Abgrund anfängt.
Was würdest Du machen, wenn Du keine Angst hättest?
Gab es einen Moment in Deinem Leben, wo Du sagen würdest: „Gut, dass ich Angst hatte? Gut, dass meine Angst mich bewahrt hat?“ Ich hab mir diese Frage beim Predigtschreiben auch gestellt. Aber mir ist nichts eingefallen. Ich habe es versucht. Gut, dass ich damals Angst hatte, sonst…! Aber ich kann den Satz nicht vervollständigen. Mir fällt nichts ein. Als ob da, wo die Angst war, ein dunkler Vorhang über meine Erinnerung gefallen wäre. Als ob die Angst auch das verdeckt, was möglich gewesen wäre.
Was würdest Du machen, wenn Du keine Angst hättest? Keine Angst vor dem Versagen. Vor dem Scheitern. Das ist doch die Angst, oder? Dass wir tief fallen könnten. Dass wir unser Leben, wie es jetzt ist, für etwas aufs Spiel setzen.
Ich hab Angst, verletzt zu werden. Vor ehrlichen Antworten auf meine Fragen.
Ich hab Angst, Menschen zu enttäuschen.
Ich hab Angst, zu verlieren. Das Glück. Die Sicherheit.
Ich hab Angst, zu scheitern mit diesem Leben. Ich hab janur das eine.
Und es waren Hirten in derselben Nacht auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen. Und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. Und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu Ihnen: Fürchtet Euch nicht! Siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird: Denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“
Draußen auf dem Feld, bei den Schafen stehst Du. Und dunkel ist es um Dich. So dunkel. So dunkel in der Angst. Die Angst baut Schreckgespenster. Erinnert sich an all die alte Angst: …(flüstert) So wie damals, als Du auch dachtest, alles wird gut, und dann? Dann war der Schmerz so, so groß und die Dunkelheit tiefer und schwärzer als vorher.
Und die Angst sitzt so tief, dass sie dein Herz fest in der Hand hat.
Und dann ist da der Engel. Vor Dir. Über Dir. Und die Klarheit leuchtet um Dich. Klar und hell und es leuchtet. Leuchtet mehr als die Angst. Ist mehr als die Dunkelheit.
Und Du fürchtest Dich sehr. Weil das Licht in all die dunklen Ecken scheint. Es will Dich herausziehen aus Deiner Ecke. Zeigt Dir die Staubschicht auf den Träumen. Zeigt Dir die abgelegte Sehnsucht, zerknüllt in der letzten Ecke des Kleiderschranks liegen.
Fürchte Dich nicht! Sagt der Engel. Schau, wieviel Schönes vor Dir liegt. Schau, auch wenn Du es mit Deinen Augen noch nicht sehen kannst. Schau, wirklich, ich weiß es. Vor Dir liegt noch so viel Licht.
Und Du fragst nach den Beweisen. Du fragst nach der Garantie. Nach der Rückgabegarantie, nach dem Kassenzettel. Ohne den kann man nicht umtauschen, oder?
Ach, Beweis, sagt der Engel. Ja, hier. Siehst Du den Stern? Da hinten? Der, der heller leuchtet als die anderen. Da ist er.
Und Du fragst nach Fristen. Bis wann kann ich es mir überlegen? Sie müssen schon verstehen, das kann ich jetzt nicht einfach so entscheiden, von jetzt auf gleich.
Ja, sagt der Engel, die Frist ist heute Nacht. Jetzt gleich.
Und Du fragst nach der Sicherheit. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass…? Denn weißt Du, dunkel ist es doch hier schon und wenn es dann noch dunkler wird und nicht heller?
Da wird der Engel ganz leise: „ Das hab ich zum Zeichen. Da ist ein Kind geboren. Es ist da, wo es nicht hingehört. Es hätte eigentlich gar nicht geboren werden sollen. Es ist alles so ganz anders gewesen, als geplant. Aber jetzt ist es da.
Und ich glaube, Du solltest es sehen.“
Fürchte Dich nicht, sagt er nochmal. Und all das Dunkle ist nicht weniger geworden. Es ist immer noch da. Aber das Licht auch.
Liebe Gemeinde, was würden Sie machen, wenn Sie keine Angst hätten? Sich auf öffentlichen Toiletten hinsetzen? Die Wahrheit sagen? Den Brief öffnen? Endlich gehen? Ihr sagen, dass sie sie lieben?
Das Leben macht uns so viel Angst. Wir haben keinen Kassenzettel, keine Umtauschgarantie. Wir haben keine Belege.
Wir haben keine Garantie. Weder mit dem sicheren Job noch mit dem Bücherschreiben. Weder auf das Leben unserer Kinder noch auf die Liebe unseres Lebens.
Und dann sagt der Engel „Fürchte Dich nicht.“ Und hat als Beweis, als Zeichen, nur dieses Kind. Als ob Gott, als Kind in einer Krippe, all das auffangen, all das ablösen würde. Als ob es reichen würde, dass Gott zur Welt kommt. Als ob es die Welt heller machen würde.
Als ob die Dunkelheit dann weniger dunkel und weniger gefährlich wäre.
Und ja, liebe Gemeinde, genau das meint er, der Engel. Zu den Hirten. Zu mir. Zu Dir.
Fürchte Dich nicht. Das reicht. Sagt er. Es reicht, dass ein Kind geboren wird, trotz allem. Es reicht, dass Du weißt, was Liebe ist. Es reicht, dass Du in der Dunkelheit tappst und das Licht suchst.
Es reicht, dass Du das Licht gesehen hast.
Es ist gut, dass Du das Licht siehst. Hab keine Angst vor dem Licht. Hab keine Angst vor der Klarheit des Engels. Hab keine Angst vor dem Licht, das in Deine dunklen Ecken fällt. Fürchte Dich nicht, sagt der Engel. Gott gibt Dir keine Garantie. Und als Beweis nur ein Kind.
Gott gibt Dir keinen Umtauschbon. Und als Beleg nur einen Stern.
Gott ist das Licht. Gott ist das Licht, das die Angst wegnimmt. Weil sie Dir den Atem raubt. Die Kraft nimmt. Die Sehnsucht wegsperrt. Gott ist das Licht, das Deine Dunkelheit nicht stehen lassen kann. Weil Du dem Leben Dein Leuchten schuldest. Weil Du nicht Deiner Dunkelheit gehörst. Sondern dem Leuchten in Dir. Weil Du dem Licht gehörst und nicht der Angst. Du gehörst der Klarheit des Engels.
Was würdest Du machen, wenn Du keine Angst hättest?
Fürchte Dich nicht, denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids.
Inspiriert von:
- Der Nino aus Wien: Hab keine Angst
- Das Paradies: Das Leuchten in Deinen Augen
- Hannes Leitlein auf twitter: Was würdet ihr machen, wenn ihr keine Angst hättet?