Predigt am Sonntag Rogate 2020
Er hatte die Kontrolle verloren. Nicht über das Auto, nicht über seine Hände. Nur über sein Herz. Er hatte die Kontrolle verloren und er merkte es erst gar nicht. Er merkte es solange nicht, bis die Worte hinterherkamen. Sie sagten, es tut mir leid, bitte verzeih mir. Es tut mir leid, ich wollte das alles nicht. Ich weiß nicht, was los war, aber ich weiß jetzt es tut mir leid. Er staunte über seine Worte. Er war niemand, der leicht Fehler zugab. Auch deswegen, weil er sich immer sehr bemühte, erst gar keine zu machen. Er war verantwortungsbewusst, ordentlich…und meistens war er das auch in seinen Gefühlen. Nur scherten die manchmal aus, besser gesagt, er verstand sie nicht immer ganz. Für gewöhnlich behielt er deshalb das meiste davon für sich, wie sollte jemand anders das schon verstehen, wenn er es selbst nicht konnte. Jetzt war es anders. Die Worte fielen aus ihm heraus. Er hielt ihre Hand dabei und spürte, wie sie warm wurde in seiner Hand. Er sah ihr in die Augen und sah ihr Lächeln und dass sie doch mehr verstand, als er dachte. Sein Herz klopfte so laut, dass er sich wunderte, dass sie es nicht zu hören schien. Sein Herz war auf Laut, dachte er plötzlich. So laut. Hätte es sich nicht so gut angefühlt, er hätte Angst davor gehabt.
Unser Kontrollmechanismus funktioniert meistens ziemlich gut. Zum Glück. Sonst hätten wir vielleicht alle ein paar Gläser weniger im Schrank, ein paar Strafzettel oder Anzeigen wegen Beleidigungen am Hals. Wir hätten mehr Schulden und mehr Kratzer auf dem Parkett und mehr Narben auf der Seele. Wahrscheinlich hätten wir aber auch mehr verrückte Erinnerungen und mehr Tränen gelacht. Vielleicht hätten wir mehr Falsches gesagt und mehr Richtiges. Vielleicht wären wir verletzter und verwundeter. Ganz bestimmt sogar. Ich glaube, die wir kontrollieren uns und unsere Gefühle und Handlungen so sehr, weil alles andere sich sehr, sehr unsicher anfühlt. Loslassen fühlt sich an wie Fallen und Kontrolle abgeben fühlt sich an wie Treiben auf dem offenen Mehr. Es kostet so viel Mut, sich manche Gefühle und Gedanken einzugestehen. Es kostet so viel Mut, die Kontrolle abzugeben. Es ist eine Zumutung. Für mich selbst, was ich mir an Gefühlen zumute. Für die anderen, was ich ihnen dann mit mir zumute. So viel Mut. Woher soll der denn kommen? Und wo kämen wir denn da hin, mit dem ganzen Loslassen und Zumuten?
In den Psalmversen, die wir vorher gebetet haben, da ist finde ich viel Zumuten und viel Loslassen drin. Da ist der Mut, zu sagen, was ist. Da ist der Mut, auf Gott zu hoffen und nicht auf meine eigene Kraft. Auch nicht auf die Klugheit und die Stärke der anderen. Wie mutig, Gott das eigene Leben anzuvertrauen. Wie mutig, die Vorstellung loszulassen, wir wären unsere Bestimmer. Ich glaube, das Beten ist Denken und Fühlen, Zumuten und Loslassen auf Probe. Wir stellen das Herz auf Laut. Wir sprechen Worte aus, die sonst so hochgegriffen klingen, so unmöglich groß. Wir beten um Heil, für das große ganze Glück. Wir greifen damit nach den Sternen: Wir wollen das ganze große Unmögliche. Gesund sein. Dass die Tränen aufhören. Dass das Gestern nicht mehr wehtut. Dass das morgen niemals kommt. Oder ganz anders wird. Wenn wir beten, trauen wir uns selbst mehr zu. Und gleichzeitig trauen wir Gott noch viel mehr zu. Wir lassen los, halten die Hände hoch zum Himmel. Herz auf Laut, Gott. Mit Psalmen, mit dem Vater Unser, mit den Worten, die nicht unsere sind, damit unsere eigenen irgendwann hinterher kommen könne.
Beten ist Loslassen und Zumuten auf Probe. Vielleicht lassen wir irgendwann auch sonst los. Vielleicht muten wir uns auch den anderen Menschen da draußen uns irgendwann zu. Lassen die Kontrolle langsam in ihr Mäuseloch verschwinden und riskieren ein paar Kratzer. Aber vielleicht lassen wir auch nur auf Probe los. Muten uns Gott zu. Trinken uns Mut an mit seiner Nähe, die unsere Seele füllt. Lassen los, was uns hält. Auf Probe, weil das geht, bei Gott.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft bewahre Dich. Er sei mit Dir, wo Du lebst und arbeitest und da wo Du liebst. Und ganz besonders da, wo Du versagst. Amen.