Predigt am 2.Advent 2019 in Prien und Breitbrunn
Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.
Dieser Satz wird abwechselnd vielen klugen Leuten zugeschrieben: Oscar Wilde, einem portugiesischen Schriftsteller namens Fernando Sabino, der Queen…nein, das letzte war ein Scherz. Sie kennen den Satz wahrscheinlich. Ich hab ihn zum ersten Mal in einem Film gehört, in dem eine Mutter ihrer Tochter sagte, sie würden ans Meer ziehen. Dann wohnten sie in einer Plattenbausiedlung und das Meer war ein Meer voller Balkons und Parkplätzen.
Sie, also die Mutter, verliebte sich aber dann in den Hausmeister. Die Tochter verliebte sich auch in irgendjemanden und am Ende hatten sie zusammen einen Wohnwagen und liefen alle über den Strand ins Wasser. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Film war großartig. Ich mochte ihn sehr. Und seit ich ihn gesehen habe, denke ich über diesen Satz nach: Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.
Stimmt der? Das hängt wahrscheinlich davon ab, wo man „das Ende“ sieht. Ist das Ende der Tod? Und ist danach, im Leben nach dem Tod, bei Gott vielleicht, also alles gut? Im Himmelreich? Ja, hoffentlich, sagen Sie wahrscheinlich! Sonst war das ja wirklich alles für die Katz hier!
Aber meistens, wenn man diesen Satz sagt, ist ja ein anderes Ende gemeint: Meistens liest man diesen Satz aber doch, wenn es um Hoffnung geht: Um die Hoffnung darauf, dass das gemeinsame Herzensprojekt doch nicht scheitert. Um die Hoffnung auf ein Kind, wenn man es als Eltern versucht und versucht. Wenn es um die Hoffnung geht, wieder glücklich zu werden. Allein. Zusammen.
Die Hoffnung, gesund zu werden. Trotz der Diagnose.
Aber ganz ehrlich: Lügt man sich mit diesem Satz nicht in die Tasche? Vertröstet er uns nicht und hält eine schale Hoffnung aufrecht, die auf nichts gründet als darauf, dass es „gut werden muss“? Und es stimmt doch auch nicht, oder? Manchmal wird man nicht schwanger. Manchmal wird man nicht mehr gesund. Manchmal verliert man das Liebste, was man hat. Und dann – dann fühlt es sich doch an wie – ja, wie das Ende. Und es fühlt sich nicht gut an. Sondern Scheiße. Und manchmal kommt dann ein anderer Spruch zum Zuge, fast so beliebt, wie der andere: „Aufstehen, Krone richten, weitergehen.“
Scheitern gehört zum Leben dazu, es macht einen stärker, bla bla bla.
Was mich an diesen Sätzen stutzig macht, ist: Sie versprechen viel Gutes, aber sagen nicht, wo es weh tut. Sie reden vom guten Ende, aber nicht vom Schmerz und von der Traurigkeit davor. Sie reden vom Aufstehen und von der Krone, aber nicht vom hinfallen, vom müde sein, vom nichts mehr tun können. Dabei geht es doch genau darum: Wir sind in dieser Welt, in unserem Leben, Tag für Tag, nicht im Himmel. Nicht im Reich Gottes. Nicht im Paradies. Wir sind noch nicht soweit. Das Reich Gottes ist noch nicht da. Wir haben noch keinen Trick gefunden, mit dem man ohne Flugzeug die ganze Welt sehen kann, außer zu Fuß zu gehen. Wir haben die Zauberformel für Babys, die durchschlafen, noch nicht entdeckt. Wir wissen immer noch nicht, wie man die Scherben auffegt, ohne sich zu schneiden – nicht nur beim Plätzchenteller, sondern auch, wenn Beziehungen zu Bruch gehen. Wir stecken manchmal ganz schön tief drinnen – und hätten gern ein Stückchen vom Himmelreich hier bei uns, in diesem Leben.
Selig seid ihr, wenn ihr Leid tragt, denn ihr werdet getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen;** denn sie werden Gottes Kinder heißen.**
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind wir. Mitten in den Scherben. Hier, wo wir den Frieden suchen. Hier, wo es nicht alles gut ist. Selig sind wir jetzt schon. Auch wenn der Trost noch auf sich warten lässt. Selig – bei den Katholiken sind das die Menschen, die nach ihrem Tod noch nicht heilig gesprochen werden, sondern erstmal selig.
Aber wir sind nicht erst selig, wenn wir tot sind, liebe Gemeinde.
Wir sind es jetzt schon.
Selig bist Du, mit dem wenigen was Du hast. Ohne Karrieresprung und mit 150 Euro im Minus.
Selig bist Du, nachts im Regen, wenn Du im Auto sitzt und weinst.
Selig bist Du, wenn Du kämpfst, obwohl Du Frieden willst.
Du bist selig.
Das sind so harte Worte, finde ich. Sie machen mich traurig. Weil ich es annehmen muss, traurig zu sein. Verfolgt zu werden von der Angst. Weil ich es akzeptieren soll, hungrig zu sein nach dem Leben und dem Sattsein.
Ich soll es nicht wegwischen mit einem Wisch-und Weg-Tuch. Ich soll es nicht schön und glatt polieren. Nein, es ist selig. Es darf sein, wie es ist.
Vielleicht ist es das, liebe Gemeinde. Das Reich Gottes. Dass Gott unser Leben heiligt. Hier und jetzt. Dass er uns nicht vertröstet auf später. Denn selig sind wir jetzt.
Und gleichzeitig: Das ist nicht das, womit Gott uns allein lässt. Wir werden nicht dabei bleiben. Bei den Scherben und Tränen. Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht. Mit Tränen in den Augen heben wir den Kopf. Klopfen die Kehrschaufel mit den Scherben am Mülleimer aus.
Malen mit den Fingern in den Staub auf der Kommode. Selig bist Du. Denn Du wirst Gottes Kind heißen. Selig bist Du, denn Du wirst getröstet sein. Selig bist Du, denn Dir gehört das Himmelreich.
Ja, diese Welt ist auch schon Gottes Reich. Deshalb sind wir selig. Weil wir den Kopf heben und auf die Erlösung warten. Manchmal kommt sie in einer halben Stunde. Manchmal in ein paar Wochen. Nächstes Jahr. Aber sie kommt. Manchmal ist die Erlösung auch schon unter uns und zugedeckt vor lauter Papier und Nachdenken und und Geschirrbergen und dem Magen-Darm-Infekt. Manchmal ist das so. Dass die Erlösung ganz nah bei uns ist.
Aber nicht immer. Eher nicht immer.
Meistens muss man warten darauf. Ab und zu den Kopf heben. Eine Kerze anzünden und noch eine. Vielleicht beten. Oder auf die Rosen schauen, wie sie rot leuchten obwohl sie voller Eis sind.
Liebe Gemeinde, der Boden vor uns ist gefroren. Und das Eis ist glatt. Blitzeis manchmal. Dünnes Eis manchmal. Und auf den Boden zu schauen, erscheint oft sicherer, als aufzuschauen. Aber sieh auf, heb den Kopf, weil Dein Reich kommt. Deine Erlösung naht sich. Und zwar nicht am Ende. Nicht erst am Ende. Sondern immer wieder. Ich glaube und ich bete „Dein Reich komme, wie im Himmel so auf Erden.“ Amen.