Predigt zum 18.Sonntag nach Trinitatis, gehalten am 20. Oktober 2019 in Prien und Breitbrunn

Liebe Gemeinde,

Vor ein paar Wochen haben wir hier im Gottesdienst über die Landtagswahlen in Sachsen gesprochen. Ich habe dafür gebetet, dass Menschenhass und Rassismus nicht toleriert werden. Dass Parteien, die die Freiheit der Religionen missachten und Zwietracht streuen keinen Erfolg haben. 

Seitdem ist so viel passiert. Ein jüdischer Gottesdienst zum Versöhnungsfest Jom Kippur wurde Ziel eines antisemitischen Anschlags. Und nein, liebe Gemeinde, ich glaube nicht, dass das ein Einzelfall war. Alle Analysen zeigen: Es gibt in unserer Gesellschaft wieder Verschwörungstheorien gegen das jüdische Volk und es gibt Parteien wie die AfD, die so etwas fördern. Der Anschlag verfehlt sein Ziel. Die Holztür der Synagoge war der letzte Schutz für die Menschen, die beteten und sangen. 

Ein paar Tage später stellt Landesbischof Carsten Rentzing sein Amt zur Verfügung. Er war der leitende Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sachsen. Er galt als konservativ, Gegner der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare, ansonsten aber vor allem als fromm. Aber auch: Kritische Statements zum immer weiter grassierenden Rechtsradikalismus in Sachsen waren von ihm nicht zu hören. Dass er Mitglied einer schlagenden Burschenschaft war, wurde von etlichen Mitgliedern seiner Kirche kritisiert, aber gezwungenermaßen toleriert. Und dann das: Ein Journalist recherchierte und fand heraus, dass Rentzing vor seiner Zeit als Bischof Texte in rechtsextremen Blättern veröffentlicht hatte. Er stellte die Demokratie als Staatsform der Freiheit in Frage und bestritt, dass Menschenrechte für jeden gültig wären. 

Der Bischof hatte diese Texte nie selbst erwähnt. Er hat sich in all den Jahren nie von ihnen distanziert. Er hat den entscheidenden Moment, die Wahrheit über seine früheren politischen Einstellungen offen zu legen, verpasst.

Jetzt ist es zu spät. Er hat sein Amt verloren. Er wird nicht mehr als Pfarrer arbeiten. Seine Glaubwürdigkeit ist verloren. Er hat Vertrauen verspielt. 

Liebe Gemeinde, ist so jemand wie Carsten Rentzing denn jetzt noch ein guter Christ? Ist er überhaupt einer?

Liebe Gemeinde, ich bin heilfroh, dass ich diese Frage nicht beantworten muss. Und Sie auch nicht. Niemand kann das. Es steht uns nicht zu, die Beziehung Gottes zu einem Menschen zu bewerten. Es fällt mir schwer, das zu sagen, denn natürlich gibt es Menschen, denen weitaus Schlimmeres vorzuwerfen ist, als jugendliche Schmierereien. Es gibt Menschen, die andere umbringen, vergewaltigen, Kriege gegen Unschuldige führen. Aber auch hier: Die Fragen, wem verzeiht Gott? Gibt es eine Hölle? Diese Fragen beantworten nicht wir. 

Diese Sätze: Du gehörst nicht mehr zu Gott. Du bist seine Liebe nicht wert.

Es sind grausame Sätze. Es schaudert mich, wenn ich mir vorstelle, sie hören zu müssen. Oder hören zu müssen, wie er über jemand anderen gesagt wird. Ein gnadenloses Urteil: Du gehörst nicht mehr zu Gott. Du stehst nicht mehr in seiner Liebe. 

Dass wir zu Gott gehören – bedingungslos! – bei jeder Taufe sagen wir das: Das kann niemand von Dir nehmen. Das Kreuz auf deiner Stirn: Du gehörst zu Jesus Christus. Ds Wasser auf Deinem Kopf: Es wäscht alles ab, was Dich von Gott trennt. Und die Bibel: Niemand kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Getrennt zu sein von der Liebe Gottes: Es muss die Hölle sein.

Aber, liebe Gemeinde, ich glaube, wir kennen ein paar Flammen dieses Höllenfeuers, das uns manchmal die Ärmel verbrennt und Löcher in unsere Kleidung und ins Herz sengt.

Du bist es nicht wert. Du hast versagt. Du kannst es einfach nicht. Wir sagen es. Du bist nicht gut genug.

Du bist nicht gut genug. Für deine verantwortungsvolle Position.  Weil Du einen Fehler gemacht hast. Einen Fehler, der nicht hätte passieren dürfen. 

Du bist nicht gut genug als Mutter. Weil Du Dich nicht genug gekümmert hast. Du hast ihr keine Jacke angezogen. Du warst nicht da. Du arbeitest zu viel. 

Du hast es schon wieder nicht geschafft, die ganze Mathestunde lang aufzupassen. Du bist echt nicht geeignet fürs Gymnasium.

Du, Du, Du. Die Hölle, das sind die anderen, hat ein Philosoph einmal gesagt. Nein, das glaube ich nicht. Die Hölle, das sind wir. Das sind wir, wenn wir in unserem Kopf Filme drehen darüber, was die anderen jetzt von uns denken. Was für ein Bild sie jetzt von uns haben. Welcher Film läuft in Ihrem Kopf? Ich bin mir sicher, sie kennen ihn. Denn er ist eine Wiederholung. Läuft zuverlässig immer wieder im Kopfkino. Wir sind ein so grausamer Richter. Eine gnadenlose Richterin über uns selbst. Ohne Erbarmen. Ohne Nachsehen. Ohne Ausnahme.

Wir sind fest davon überzeugt: Was wir tun, entscheidet darüber, wer wir für die anderen sind.Daran, wie Du handelst, erkennt man, was für ein Mensch Du bist. Diese Überzeugung haben wir fest verinnerlicht. Und sie fühlt sich an wie die Hölle. So muss sie sein, die Verdammung. Weil wir uns selber so verdammen. 

Und immer, wenn wir so über uns selbst denken, sagen wir auch ein bisschen: So jemand ist es nicht wert. Dass er geliebt wird von Gott, von den Menschen. Wir verurteilen uns, als ob wir Gott wären.

Aber: Weder das, was wir tun, noch das, was wir lassen, bringt uns Gott nahe. Nicht das, was wir aus Liebe tun, das wir aus Angst tun. Nicht das, was wir lassen vor lauter Angst. Nicht das, was wir tun vor lauter Liebe. Unsere verzweifelten Versuche, etwas richtig zu machen. Und all unser Scheitern dabei. All das gehört zu dem, was Luther die Werke nennt, aus denen man eben nicht selig wird. Der reiche Jüngling im Evangelium, das wir vorher gehört haben. Fast alles versucht er. Fast alles versucht er zu tun. Aber alles schafft er nicht. Tief betrübt geht er weg, heißt es. So sehr hat er es versucht. Ja, wer kann denn dann selig werden, fragen die Jünger? 

Bei den Menschen kann man das nicht, sagt Jesus, nur bei Gott. Für ihn ist nichts unmöglich.

Das selige Gefühl von Gottes Liebe berechnet sich nicht aus unserem Werks-Konto. Auch wenn wir uns selbst in der Hölle schmoren lassen für das, was wir zu wenig tun. Das ist nicht Gottes Entscheidung. Das ist unsere. Wir sind es, die so „werksgerecht“ sind. Wir verurteilen uns. Uns – und oft auch die anderen. Diejenigen, die gelogen haben und Dinge verschwiegen haben. Wir sind es, die gnadenlos richten.

Wenn Menschen gelogen und getäuscht haben, ist das schrecklich. Es hätte nicht passieren dürfen. Nicht beim sächsischen Landesbischof, nicht bei den Menschen, die uns wehgetan haben. 

Wenn Menschen andere verletzen und verraten ist das vielleicht unentschuldbar. Kein Mensch muss etwas verzeihen. Manche Verletzungen reichen zu tief um zu verzeihen.

Was wir verzeihen können, wissen wir nur selbst.

Mit wem wir gnädig sein können, auch. 

Ich glaube, wir leben zur Zeit in einer sehr gnadenlosen Gesellschaft. Wir klagen sehr schnell an. In Zeitungen, öffentlichen Debatten. Im Internet. Es ist so wahnsinnig wichtig, gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Es ist so wichtig, dass Männer, die Frauen begrapschen, sich Macht über sie verschaffen. Es ist so wichtig, dass Politiker, die Unsinn erzählen, dafür kritisiert werden. Wir dürfen damit nicht aufhören. Was wir aber nicht tun sollten: Diese Menschen persönlich niedermachen. Ihnen die Menschlichkeit absprechen, das Christ-sein, ihre Würde. Das, liebe Gemeinde, ist das Letzte, was wir haben: Es ist Gnade, es ist Demut. Die Trennung dessen, was ein Mensch getan hat und wer er ist – die Unterscheidung von Person und Werk – wir dürfen sie nicht aufgeben, niemals. Das ist die christliche Begründung der Menschenrechte. Jeder Schüler, der in eine Schublade geschoben wird – ach, der ist ein hoffnungsloser Fall! Jede Politikerin, der Geltungssucht unterstellt wird – wir dürfen nicht richten. Reden wir offen und sachlich, diskutieren wir über Greta Thunberg, über Konzerne, über Kirchensteuern. Aber bleiben wir demütig. Mutig und demütig. 

Bei anderen ist das schwer. Und bei uns selbst genauso. Vielleicht üben wir es aber bei uns selbst, das demütig und gnädig sein.

Denn wir machen uns zu Gott, wenn wir so über uns richten. Wir vergessen seine Gnade über uns. Wir lassen das heiße Höllenfeuer in uns brennen.

Liebe Gemeinde, wir müssen nicht über die Hölle entscheiden. Uns ist eine andere Aufgabe gegeben. Wir können alle unsere Kraft dahinein investieren, die Gnade zu suchen. Die, die auf unseren Kopf tropft manchmal, wie ein kaputter Wasserhahn oder wie ein Duschkopf, der so von oben tropft. So ist sie, die Gnade Gottes, sie tropft unaufhörlich auf uns, immer wieder. Sie kühlt uns den heißen Kopf und manchmal auch das Herz. Sie löscht unsere innere Hölle. Tropfenweise. Gottes Gerechtigkeit strömt wie Wasser und wie ein nie versiegender Bach heißt es in der Bibel. Vielleicht spüren wir nicht immer diese Ströme. Sondern nur die Tropfen. Aber die höhlen unsere Angst aus. Tropfen für Tropfen. Einen Gnadenbrunnen will ich statt eines Zimmerbrunnens. Für unsere Gesellschaft und für mich.

Amen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top